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Reinhardt-Brandstätter-Platz eingeweiht
Am gestrigen Welt-AIDS-Tag fand die Einweihung des „Reinhardt-Brandstätter-Platzes“ neben dem Wiener AIDS-Hilfe-Haus im 6. Bezirk statt. Reinhardt war Mitbegründer nicht nur der HOSI Wien, sondern auch der österreichischen AIDS-Hilfe – mit kleinem und mit großem „Ö“.

Im Rahmen einer von Andrea Brunner, der Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Wien, moderierten Feier sprachen Bezirksvorsteher Markus Rumelhart (SPÖ), AIDS-Hilfe-Wien-Vorsitzender Stefan Dobias und die bekannte Buchautorin und Psychotherapeutin Rotraud A. Perner, die nicht nur die Idee zu dieser Platzbenennung hatte, sondern auch deren – nicht ganz einfache – Umsetzung betrieb, sowie der Autor dieser Zeilen.

Alle vier RednerInnen würdigten Reinhardts Verdienste im Kampf gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und gegen HIV/AIDS. So meinte Markus Rumelhart: „Wir ehren sein Lebenswerk und zollen ihm dafür unseren Respekt. Und wir erinnern an sein Wirken – für die Zukunft. Denn mit seinem Namen untrennbar verbunden sind große Anliegen, Reformen – man kann ruhig sagen: Revolutionen – in jedem Fall aber Errungenschaften für unsere Gesellschaft, die heute so selbstverständlich wirken.“ (Weitere Auszüge seiner Ansprache finden sich auf Markus’ Facebook-Seite).

Stefan Dobias stellte einen aktuellen Bezug her: „Auch heute ist der Kampf gegen HIV, gegen Ausgrenzung HIV-positiver Menschen nicht vorbei, und mit dieser Platzumbenennung wollen wir nicht nur Reinhardt Brandstätter und seine herausragenden Verdienste würdigen, sondern nach außen ein Zeichen setzen, dass auch heute noch dringend Handlungsbedarf rund um sexuelle Gesundheit und gegen die Diskriminierung marginalisierter Personengruppen besteht.“

Rotraud Perner leitete ihre Gedenkworte launisch-kritisch ein: „Wien wurde jüngst als grantigste Stadt der Welt ausgezeichnet; sie ist aber auch die „neidigste“ – sagte doch schon Frederick Mayer, der Neid sei die österreichische Krankheit. „Hier hält man es schwer aus, wenn jemand Erfolg mit Pionierarbeit hat, die man selbst verabsäumt hat.“ Reinhardt habe nicht nur als Mediziner über Kompetenz, sondern später auch über Betroffenenkompetenz verfügt – als selbstermächtigter Gesundheitspolitiker, Sozialpolitiker und Begleiter derjenigen, die diskriminiert wurden. Und er habe Humor gehabt, wie die damaligen Protestaktionen der HOSI Wien zeigten – ohne Kleb- und Schütt-Aktionen; nachzulesen in Homosexualität in Österreich (Junius-Verlag 1989), wofür übrigens Rotraud einen Gastbeitrag verfasste.

Auch heute würden kranke Menschen diskriminiert, weil sie anders seien, unhinterfragten Normen nicht entsprächen, von A wie Autisten über Ü wie Übergewichtige bis Z wie Menschen mit Zwangsstörungen, spannte Rotraud ebenfalls den Bogen zur Gegenwart – keine Frage, es bleibe noch viel zu tun. Das Hetzen und Verfolgen von Menschen, die „einem nicht in den Kram passen“, nehme sogar wieder zu – und genau deswegen könne und müsse man aus der Vergangenheit lernen, wie man sich erfolgreich gegen Diskriminierung und Verteufelung wehrt. Und mit dem Zitat aus Falcos letztem Lied – „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ – verlieh sie der Hoffnung Ausdruck, das (Ge-)Denken an Reinhardt möge von hier ausgehend weiterleben.

Meine Ansprache findet sich untenstehend im vollen Wortlaut. Anna Starzinger sorgte für den musikalischen Rahmen und spielte vor und nach den Redebeiträgen jeweils ein Stück auf dem Cello. Danach wurden die beiden Straßenschilder enthüllt. Im Anschluss wurde im Tageszentrum des AIDS-Hilfe-Hauses jener Quilt des Names Project Wien aufgebreitet, in dem das Gedenktuch für Reinhardt eingenäht ist.
 
Mein Redetext zur Einweihung des Platzes
Reinhardt war 1979 Mitbegründer der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien, des ersten Schwulen- und Lesbenvereins in Österreich. Auf der konstituierenden Generalversammlung im Jänner 1980 wurde er zum Zweiten Obmann gewählt; von 1983 bis 1991 war er Obmann.

In der HOSI Wien war Reinhardt vielseitig aktiv, besonders verdient machte er sich um das politische Lobbying und die Öffentlichkeitsarbeit. Jahrelang prägte er die Vereinsarbeit, initiierte viele Projekte und unterstützte viele Aktivitäten. Untrennbar mit Reinhardt verbunden ist jedoch die AIDS-Präventionsarbeit, die in Österreich – nicht zuletzt wegen ihm – tatsächlich ihren Ausgang in der HOSI Wien nahm.

Und zwar im März 1983, also vor fast genau 40 Jahren, als die Medien über die ersten heimischen AIDS-Fälle berichteten. Diese ersten Medienberichte erzeugten Verunsicherung, Panikmache und zum Teil Hysterie. Reinhardt war sofort klar, dass nur Information und Aufklärung dagegen helfen konnten. Und so initiierte er eine Informationsbroschüre, die erste in Europa.

Wobei man erwähnen muss, dass zu dem Zeitpunkt das gesicherte Wissen über AIDS sehr beschränkt war – damals, im März 1983, war nicht einmal wirklich gesichert, dass AIDS durch ein Virus ausgelöst wird.

Es war daher eine Zeit der Gerüchte und Spekulationen. Unter den Homosexuellen gab es extreme Reaktionen, von noch mehr Schuldgefühlen und Selbstunterdrückung auf der einen Seite bis hin zu Verschwörungstheorien, AIDS sei bloß ein abgekarteter Anschlag der homophoben Gesellschaft auf die gerade erst beginnende Befreiung.

Zwischen diesen Polen war der rationale Umgang mit der Krankheit eine echte, auch ideologische Gratwanderung – die sich etwa in besagter Broschüre in Reinhardts Worten so liest:

Der Verlauf der einzelnen Krankheit ist jedoch schrecklich und oftmals tödlich. Daher sollten wir möglichst alles tun, was eine Ausbreitung verhindert. Angst und Panik oder übertriebene Reduzierung der Sexualität oder Sexualfeindlichkeit sind keine geeigneten Mittel dazu. Angst ist eine das körperliche Gleichgewicht zerstörende Größe. Und Angst ergreift den umso eher und umso mehr, der mit Schuldgefühlen lebt, etwa wegen seiner Homosexualität, und dem Selbstunterdrückung nicht fremd ist. Unsere Antwort darauf muss daher unsere persönliche Emanzipation sein, unsere Selbstakzeptierung als Homosexuelle und das bewusste Leben unserer Homosexualität. (Zitat Ende)

Im Laufe des Jahres 1983 wurde schließlich das AIDS auslösende HI-Virus isoliert. Ende 1984 stand dann ein noch nicht zugelassener Antikörpertest zur Verfügung, mit dem man eine HIV-Infektion nachweisen konnte. Es war wieder Reinhardt, der die Bedeutung dieser Untersuchung und ihre potentiellen Konsequenzen für den einzelnen erkannte und entsprechende, für die Zukunft der AIDS-Politik ganz wichtige Weichen stellte. Eine der wesentlichen Überlegungen dabei war, dass der Test nur mit vorheriger Aufklärung sowie mit umfassender Beratung bei Befundausgabe durchgeführt werden sollte. Ebenso wichtig war es, den Test anonym anzubieten, um mögliche Diskriminierungen positiv Getesteter hintanzuhalten.

Die HOSI Wien, an die man diesbezüglich herangetreten war, beschloss, durch ihre Beteiligung eine anonyme Studie über die Prävalenz von HIV-Antikörpern unter Schwulen zu ermöglichen. Die Studie, die bis Ende März 1985 lief, war die erste größere Studie dieser Art in Europa. 318 Männer beteiligten sich daran, 68 davon (immerhin mehr als 21 %) waren HIV-positiv.

Nach dieser Studie saßen nun die involvierten Ärzte und die HOSI Wien auf diesen positiven Befunden; die Betroffenen brauchten weiterhin Betreuung, und auch der Bedarf an anonymer Testung blieb bestehen. Aus dieser Not heraus entwickelte Reinhardt gemeinsam mit Judith Hutterer, die damals die AIDS-Ambulanz im Wiener AKH leitete, sowie engagierten BeamtInnen des Gesundheitsministeriums ein Konzept, das im August 1985 zur Gründung der Österreichischen AIDS-Hilfe führte.

Es war Reinhardts Überzeugungskraft und Engagement zu verdanken, dass der damalige Gesundheitsminister, Kurt Steyrer, die nötigen Mittel bereitstellte. Innerhalb kurzer Zeit wurden sieben Beratungsstellen errichtet; die erste, in Wien, wurde bereits im November 1985 eröffnet. Etliche Mitstreiter aus der HOSI Wien, wie der heute hier anwesende Henning Dopsch, und aus den Bundesländer-HOSIs waren an diesem Aufbau beteiligt. Am Höhepunkt dieser Entwicklung arbeiteten 120 Leute für die ÖAH.

Die Gründung der ÖAH fiel zeitlich mit der zweiten großen medialen Berichterstattungswelle in Österreich im Sommer 1985 zusammen. Das war in der Tat wieder die Stunde Reinhardts, der sich in fast missionarischem Eifer der Aufklärung widmete. Sein Credo dabei war stets: Erfolgreiche Prävention kann nur auf der Basis von Vertrauen, Eigenverantwortung, Freiwilligkeit und Wissen, niemals jedoch durch Zwang gelingen. Reinhardt gab in den nächsten fünf Jahren wohl hunderte Interviews für Zeitungen, war Dauergast in Hörfunk- und Fernsehsendungen.

Unzählig waren die Vorträge und Informationsveranstaltungen, die Reinhardt im ganzen Land absolvierte. Bei diesem unermüdlichen und konsequenten Einsatz stand stets auch der Abbau von Vorurteilen gegen Homosexuelle im Vordergrund. Da Reinhardt im öffentlichen Bewusstsein immer als offen Schwuler und als Obmann der HOSI Wien wahrgenommen wurde, kam sein Engagement auch der „schwulen Sache“ zugute.

Reinhardts Einsatz für vorurteils- und hysteriefreie Aufklärung wurde in der Tat zu seinen Lebzeiten schon gewürdigt, etwa als die Zeitschrift WIENER ihn im März 1987 zum „Wiener des Monats“ kürte.

Gelegenheit, seine Kämpfernatur unter Beweis zu stellen, gab es für Reinhardt genug. Er war jedoch in erster Linie ein pragmatischer und kompromissbereiter Mensch, der nicht um jeden Preis mit dem Kopf durch die Wand wollte, aber über gewisse Prinzipien war er nicht bereit zu verhandeln. In all den Jahren fanden ja ständig Grabenkämpfe und Kleinkriege über die AIDS-Politik statt. Scharfmacher versuchten immer wieder, Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Bayern bot sich damals als vermeintliches „Vorbild“ an.

Meldepflicht, zentrale Erfassung aller Betroffenen, Datenschutz waren nur einige der ständigen heißen Themen. Politiker von ÖVP und FPÖ etwa forderten die Aufnahme ins Epidemiegesetz, was Reinhardt kategorisch ablehnte. Ein Skandal waren auch die Massentestungen an 180.000 PatientInnen ohne deren Wissen in den Wiener Spitälern sowie an allen BewerberInnen für Jobs bei der Gemeinde Wien.

Reinhardt nahm sich kein Blatt vor den Mund. Er kritisierte, wenn notwendig, auch die Medien – etwa den ORF, als der sich weigerte, einen Anti-AIDS-Spot des Gesundheitsministeriums zu senden, weil darin das Wort „Präservativ“ vorkam – die zentrale Präventionsbotschaft! Der Gesundheitsminister, obwohl bei weitem der größte Geldgeber der AIDS-Hilfe, blieb von Kritik ebenfalls nicht verschont, wenn sie gerechtfertigt war. Und schon gar nicht die Pharma-Industrie.

Reinhardt führte aber auch seinen eigenen persönlichen Kampf gegen HIV. Er hatte sich im Rahmen der erwähnten Studie ebenfalls testen lassen und Anfang 1985 seinen positiven Befund erhalten. Die Krankheit schritt bei ihm relativ rasch voran, er schonte sich aber nicht, im Gegenteil, er arbeitete viel zu viel in dieser Zeit und betrieb regelrecht Raubbau an seiner Gesundheit, aber die Sache war ihm zu wichtig, als dass er sie für ein paar mehr Monate oder Jahre an eigener Lebenszeit vernachlässigen wollte.

(Folgender Absatz war nicht Teil des gesprochenen Worts – das entsprechende Manuskriptblatt wurde unbemerkt vom Winde verweht:) 1990 musste Reinhardt seine Funktion als Geschäftsführer der ÖAH krankheitsbedingt zurücklegen. Die Auflösung der ÖAH und die Umstrukturierung ihrer Beratungsstellen ein Jahr später, im Juni 1991, erlebte er noch mit, wobei ihm Trost und Genugtuung war, dass die ÖAH ordnungsgemäß und mit finanziellem Überschuss abgewickelt wurde und die Beratungsstellen im Wesentlichen auf dem Fundament der ÖAH ihre Arbeit fortsetzen konnten – es wurde ja immer wieder wahrheitswidrig behauptet, die ÖAH sei wegen Misswirtschaft in Konkurs gegangen.

Für Leute, die damals nicht unmittelbar mit der AIDS-Politik in all ihren Facetten befasst waren, ist es heute unmöglich, nachzuvollziehen, was der Kampf gegen HIV/AIDS auf all diesen Gebieten – Aufklärung, Betreuung, Versorgung, Therapie, gesetzliche Maßnahmen usw. – an Herausforderungen mit sich brachte und welche Leistung es war, den Kurs der AIDS-Politik, der AIDS-Prävention und der AIDS-Versorgung wesentlich mitzubestimmen.

Ich denke daher, dass es angemessen ist, Reinhardt mit dieser Platzbenennung zu ehren und sein Engagement im Kampf gegen AIDS zu würdigen – er hätte sich sicherlich sehr darüber gefreut. Der Zeitpunkt ist auch stimmig: Reinhardt wäre vor fünf Wochen 70 Jahre alt geworden, sein Todestag hat sich heuer zum 30. Mal gejährt. Und der Ort hier vor dem AIDS-Hilfe-Haus ist fraglos mehr als passend.

Reinhardt Brandstätter (25.9.1952 – 17.4.1992)

Fotos Enthüllung © Jürgen Hammerschmid, Portätfoto © Alfredo Jagendorfer Homopoliticus

2 December 2022
Kurt Krickler, Wien