Hamburg
Germany
Dreieinigkeitskirche St. Georg, vor dem Hauptportal Names and Stones - Wind Rose II since 1 December 1994
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Hanseatische Stadtrundgänge #1
Heimaturlaub [excerpt]
So richtig ernst gemeint in die eigene Stadt verreisen – macht das eigentlich jemals jemand? Wenn man in einer großartigen Stadt wie Hamburg lebt, kommt der Gedanke schon mal auf, wird aber meist auf „demnächst mal“ verschoben. Damit ist jetzt Schluss.
Der Plan: Ich nehme mir eine Woche, um endlich mal die Ecken von Hamburg besichtigen, die in den bummeligen fünf Jahren, die ich hier lebe, zu kurz gekommen sind. Als gallerytalk.net-Kunstenthusiastin will ich natürlich nicht nur all die Kunstorte besichtigen, die bisher irgendwo auf der To-do-Liste versauert sind, sondern auch davon berichten. Außerdem habe ich Urlaub, ich will jeden Tag ein Eis!

Tag 1: Montag
Gegensätze in St. Georg und ein bisschen Tagträumen in Uhlenhorst: Der erste Gang führt zum ehemaligen Bahnpostamt am Hühnerposten. Das riesige rot-weiße Gebäude beherbergt heute die Zentralbibliothek der Hamburger Bücherhallen und somit auch unzählige Hamburg-Reiseführer – genau das richtige für mein Vorhaben. Optimal ausgestattet geht es an dem ebenso übergroßen, von Stephan Balkenhol geschaffenen Paar „Mann und Frau“ vorbei, ins Getümmel St. Georgs. Überall auf den Straßen liegen noch übrig gebliebene Flitter der CSD Parade vom Wochenende.

In unmittelbarer Nähe erhebt sich die Dreieinigkeitskirche, hier wird es auch gleich nachdenklicher. Auf engem Raum befindet sich hier zum einen die wohl älteste noch erhaltene Flüchtlingsunterkunft Hamburgs, der Kattenhof in der Georgstraße 5-7. Er gewährte einem Teil der Hamburger, die durch den großen Brand 1842 obdachlos geworden waren, Unterkunft. Zum anderen ist die kreuzförmige Pflasterung vor dem Haupteingang der Kirche ein Mahnmal für die Opfer des HI-Virus. Tom Fecht hat es hier 1994 zum Höhepunkt der AIDS-Epidemie geschaffen.

Trauer und Lebenslust liegen in St. Georg nur wenige Schritte auseinander und in der Langen Reihe locken zahlreiche Geschäfte und Cafés. In der t.boutique plane ich bei Matcha und Macarons das weitere Vorgehen. Trotzdem übersehe ich vor lauter Gucken im ersten Anlauf das Geburtshaus von Hans Albers in der Langen Reihe Nr. 71. Gibt halt viel zu sehen. Der legendäre Schauspieler wird mir hoffentlich nicht böse sein.

Aber genug der Beschaulichkeit, mein knurrender Magen will im traditionsreichen Café Gnosa einkehren. Dessen Geschichte umfasst den Ruhm, die ersten Buttercremetorten nach dem zweiten Weltkrieg angeboten zu haben genauso wie den eher zweifelhaften Umstand, in der Nachkriegszeit Standort des sogenannten „Hausfrauenstrichs“ gewesen zu sein. In den 90er Jahren wurde es schließlich zu einem queeren Treffpunkt. Heute genießen hier alle nach ihrer Fasson in dem gemütlich-plüschigen Interieur und ich nehme mit dringend vor, für den Kuchen wiederzukommen.

Photo © Christina Grevenbrock gallerytalk

10 August 2016
Christina Grevenbrock, Hamburg